Dr. Franziska Davies über schräge Debatten zum Angriffskrieg gegen die Ukraine

Einen Tag nach dem Jahrestag des Einmarschs Russlands in weiten Teilen der Ukraine folgten rund 13.000 Menschen dem Aufruf von Sahra Wagenknecht, Alice Schwarzer und anderen Prominenten und kamen bei einer angeblichen “Friedensdemo” in Berlin zusammen. Waffenlieferungen für die Ukraine wurden dort aufs schärfste verurteilt. Und auf vielen Plakaten wurde die NATO als Kriegstreiber dargestellt. Das sorgte nicht nur bei ukrainischen Communities für viel Unmut. Auch viele Expertinnen, die sich schon lange mit dem Verhältnis von Russland zur Ukraine beschäftigen, kritisieren den Demoaufruf.

Putin hat in zahlreichen öffentlichen Statements unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er der Ukraine als Staat ihr Existenzrecht abspricht. Putin könnte diesen Krieg jederzeit beenden, er müsste einfach nur die Truppen abziehen. Trotzdem richten sich die Appelle vieler “Putin-Versteher” nicht etwa an ihn, sondern an die Ukraine und die NATO. Warum ist das so? Und welche Rolle spielen hier vielleicht auch tief in der Gesellschaft verwurzelte falsche Vorstellungen über Mittel- und Osteuropa?

Genau darüber habe ich mit Dr. Franziska Davies gesprochen. Sie lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität in München Osteuropäische Geschichte und hat gemeinsam mit Katja Machotina ein Buch über die “Offenen Wunden Osteuropas” geschrieben.

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Quellen & weiterführende Links:

Franziska Davies, Katja Makhotina: Die Offenen Wunden Osteuropas

Das Buch für nur 4,50 Euro bei der Bundeszentrale für Politische Bildung

T-Online: Krone-Schmalz klagt nicht weiter gegen Kritikerin Franziska Davies

Davies, F. (2022). Disinformation Expert. Zeitschrift Osteuropa, 72(9-10), 245-265.

Franziska Davies: Der koloniale Blick auf Osteuropa. Der Auftritt von Harald Welzer als Symptom deutscher Schieflagen

Wikipedia: Alexander Solschenizyn – Der Archipel Gulag

Wikipedia: Holodomor

Margarete Stokowski über den Aktivismus-Begriff

7 Gedanken zu „Dr. Franziska Davies über schräge Debatten zum Angriffskrieg gegen die Ukraine

  1. Ein sehr interessanter Beitrag, dem ich gerne zugehört habe.

    Was ich nicht nicht verstehe – es wurde im Podcast auch über das Verhalten der Medien gesprochen im Zusammenhang mit der Einladung von „Putin Groupies“ in die Talkshows vor allem der ÖR Medien. Und es gibt ja weitere Auffälligkeiten in den Medien, die ständig falsche Wortwahl „Selenskyj fordert“, die Verwendung des Begriffs „Ukraine-Krieg“ usw.

    Wann kommt denn mal jemand auf die Idee, dass das alles keine Zufall ist, sondern dass man getrost davon ausgehen darf, dass die deutschen Medien – wie auch die deutsche Politik – von Russland unterwandert wurde? Und dass diese Symptome der Ausfluss des Versuches sind, die Meinungsbildung in Deutschland gezielt zu beeinflussen?

    Das ist ein Thema, da scheint offensichtlich niemand man drangehen zu wollen.

    Gruß aus der Eifel

    Franklin

    1. Hallo Franklin,

      ich würde nicht davon ausgehen, dass es sich da um ein großes Komplott handelt. Klar, es gibt in unserer Gesellschaft Akteure mit Verbindungen zu russischen Unternehmen oder Staatsmedien oder mit Russland verbundenen Interessen. Aber wenn man sich die Debatten der letzten Jahre anschaut muss man ja sagen, dass diese Schieflage schon lange da war. Und ich finde es daher sehr plausibel anzunehmen, dass das einfach mit Unwissenheit oder aber einem verkitschten Russlandbild zu tun hat. In den meisten Redaktionen würde ich eher davon ausgehen, dass das mit Unwissenheit, gekoppelt mit dem Wunsch nach „Ausgewogenheit“ oder auch „Kontroverse“ in der Berichterstattung zusammenhängt – was aber zu einer false Balance führt.

      LG

      Kattascha

      1. Hallo Katascha,

        habe den Podcast sehr gerne angehört und finde, Frau Davies macht da sehr engagiert sehr wichtige Aufklärungsarbeit zum Zerrbild und dem Nichtwissen, die hierzulande zur Geschichte Osteuropas noch immer so stark dominieren und eben auch die Interpretation des Überfalls auf die Ukraine stark beeinflussen.

        Ich denke schon auch, daß in D in vielen Redaktionen sich Unwissen über Osteuropa (Snyders ‚Bloodlands‘) und RU, v.a. über die Stalin-Ära in RU, den Hitler-Stalin-Pakt und die sowj. Besatzung Polens (samt der heut. Westukraine mit Lviv) und des Baltikums 1939/40 mit schlechtem Gewissen und alten linken Überzeugungen, die oft mit Antiamerikanismus verbunden sind, mischt und zu einer starken Beeinflussbarkeit durch russ. Propaganda führt.

        Diese aber wird von russischer Seite auch klar wahrgenommen und ganz gezielt ausgenutzt. Bei den ‚Nachdenkseiten‘, gegründet vom ehemaligen Wahlkampfleiter von Willy Brandt, Albrecht Müller, z.B. war ich 2015 auf einer Veranstaltung in Pleisweiler, auf der ganz viele Russen anwesend waren. Müller macht schon seit langem keinen seriösen Journalismus mehr, sondern mehr oder weniger offen antiamerikanischen, pro-russischen Kampagnenjournalismus.

        Auch die russischen Cyber-Desinformationskampagnen (siehe die Beeinflussungsversuche der US-Präsidentenwahl mit der Hillary Clinton-e-mail-Affäre und russ. Verschwörungstheorien um diese herum würde ich nicht unterschätzen.

        LG
        Wolfgang

  2. Ich finde es bedenklich, wenn einer Bewegung, die sich erlaubt, mal darauf hinzuweisen, dass es zur Lösung eines brutalen bewaffneten Konflikts eventuell auch Alternativen dazu gibt, mit Elan Öl ins Feuer zu gießen jegliche moralische Motivation abspricht und sie als unterwandert, misinformiert oder gar ekelhaft abstempelt. Pazifisten aller Länder schämt euch! Mal Alternativvorschläge anhören und produktiv diskutieren anstatt abschmettern hat noch nie geschadet.
    In diesem Sinne: die noch so umfangreiche und unbestrittene Kenntnis der Geschichte Osteuropas sollte nicht die universelle Tatsache überdecken, dass der Teufelskreis von Gewalt in der Weltgeschichte immer nur durch die totale Vernichtung einer Seite beendet wurde, oder aber eben dadurch, dass eine Seite unilateral die Gegengewalt beendet hat. Zu einem Preis der absolut gesehen unzumutbar scheint, aber letztendlich und bedauerlicherweise immer noch der niedrigste bleibt. Dazu muß man kein Regionalexperte sein, nicht in Afganistan, Irland, Israel oder Osteuropa. In den Augen jener war schon immer der Konflikt in XXX ganz anders und isoliert zu betrachten und nur mit voller Waffengewalt zu beenden. Ach.

  3. ein sehr guter Beitrag, der aufklärt und Wissen von Propaganda klar trennt.

    Sehr erschreckend finde ich, dass sich Universitätsleitungen nicht hinter Ihre Dozentinnen und Dozenten und Professorinnen und Professoren stellen und sie gegen Angriffe verteidigen!

  4. Hi, vielen Dank für den großartigen Podcast!

    Ich habe/hatte selbst viele der benannten blinden Flecken. Bin zwar ein halbwegs gebildeteter Mensch, aber ich habe mich aber nie tiefgehend mit Russland, Putin, der Ukraine oder so beschäftigt. Der Einmarsch in die Ukraine kam für mich extrem überraschend. Nicht, dass ich Putin je toll gefunden hätte, aber ich habe ihn immer für einen rationalen, kühl kalkulierenden (sexistischen, homophoben, antidemokratischen) Technokraten gehalten. Dass er tatsächlich Großmachtsfantasien hat und so einen Krieg vom Zaun bricht, konnte ich mir nicht vorstellen.

    Auch die Argumentation, dass er von der NATO eingeengt wird und das alles ein Machtspiel zwischen Russland und den USA ist, schien mir plausibel. Das hat bestimmt auch etwas damit zu tun, dass ich mein politisches Erwachsenwerden mit dem Krieg im Irak und den Lügen über die Massenvernichtungswaffen zusammenfällt. Dadurch hatte ich einen sehr zynischen Blick auf die NATO/die USA/den Westen und die Erzählung, dass wir „die Guten“ sind. Dementsprechend habe ich die zunehmend übleren Nachrichten über Putin immer so ein bisschen relativiert („ja ja, die bösen Russen wieder“).

    Der Krieg mein Denken über ihn und die russische Politik total verändert. Ich lag einfach komplett falsch. Bestimmt geht es vielen Menschen so wie mir. Das zuzugeben, ist aber nicht leicht und ich denke, dass sich deshalb viele an Strohhalme klammern, um weiter an ihrem Weltbild festhalten zu können…

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